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Flaniermeile Friedrichstraße: Vision oder Illusion?


Dass aus der Friedrichstraße wieder eine Prachtmeile wird, wünschen sich auch die Macher der Initiative Stadt für Menschen und kämpfen für eine verkehrsberuhigte Flaniermeile. Wir haben Matthias Dittmer, einer der Sprecher der Initiative und Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität von Bündnis 90/Die Grünen, dazu befragt.

Herr Dittmer, das Thema Fußgängerzone steht seit Jahren immer mal wieder auf der Agenda verschiedener Institutionen. Was wollen Sie anders machen?

Das stimmt. Sogar die untergehende DDR hatte bereits Pläne in der Schublade, die Friedrichstraße vom Autoverkehr zu befreien. Heute geht es uns aber nicht um eine Fußgängerzone im klassischen Sinn, wie einst in den 70er Jahren mit viel Beton. Genau das wollen wir anders machen. Der Mensch muss im Mittelpunkt aller Planungen stehen.

Das ist schön gesagt. aber was heißt das konkret?

Wir wollen Angebote eröffnen, die zum Verweilen einladen: Bänke, Sitzgruppen, Kübelpflanzen und Spielmöglichkeiten für Kinder. Wir nennen das, was wir wollen, deshalb auch Fußgängerparadies, um das Gefühl zu beschreiben, um das es geht. Weltweit gibt es wunderbare Beispiele für Umwandlungen von Innenstädten. Sei es Rotterdam oder Oslo, Bordeaux oder Kopenhagen. Internationale Stadt- und Verkehrsplaner von Rang sollten in Berlin tätig werden.

Was ist denn Ihre Intention?

Meine Intention ist es, Berlin lebenswerter, schöner und attraktiver zu machen. Die Friedrichstraße ist das Herz Berlins – die Visitenkarte unserer Stadt. Mich schmerzt es, wenn ich ihren Zustand sehe: Vernachlässigt und heruntergekommen. Der Einzelhandel bekommt das zu spüren. Er hat es schwer und schwerer. Aufenthaltsqualität ist das Zauberwort, das sofort Abhilfe schaffen kann.

Autofrei war ein Teil der Friedrichstraße im Dezember.

Warum können sich Fußgänger und der motorisierte Verkehr die Straße nicht teilen?

Die sogenannten Begegnungszonen sind häufig schwierig bis gar nicht umzusetzen. Das kann funktionieren, wie auf dem Alex, wo die Passanten einer Tram begegnen. Oder eben nicht. Die Maaßenstraße ist ein Beispiel der anderen Art. Zu Tode geplant. Ich mag keine Halbheiten, sondern bevorzuge Lösungen. In Paris hat eine Koalition aller Parteien die Magistralen an der Seine durch Uferpromenaden ersetzt. Das war ein radikaler Schritt. Der Erfolg gibt den Machern jedoch Recht. Die Menschen lieben die neu entstandenen Areale.

Wie stellen Sie sich eine Fußgängerzone in diesem Bereich denn vor?

Fußgängerzone finde ich kein schönes Wort. Da muss ich immer daran denken, dass unser Land einst in Zonen geteilt war. Flaniermeile oder Fußgängerbereich sind schönere Worte für das, was ich mir vorstelle. Die Friedrichstraße sollte den Anfang machen, denn hier ist die Not am größten. Sie sollte den Fußgängern schlicht vorbehalten bleiben. Skateboard, Roller, Menschen mit Behinderungen und Kinderwagen hätten großzügig Platz. Radwege oder Fahrradstraßen können in der Glinka- oder Charlottenstraße ihren Platz finden. Sie werden sehen, wie schnell Bistros und Straßencafés aus dem Boden wachsen, wenn sich die Menschen dort wohlfühlen. Gute Luft und Ruhe werden als Einladung begriffen.

Wie werden Sie unterstützt? Haben Sie Verbündete?

Unsere Flanier-Mitte im Dezember war ein Riesenerfolg. Mit bescheidenen Mitteln und in 15 Minuten war die Straße verwandelt. Von den anliegenden Geschäften haben fast alle unsere Flyer auslegt und uns sogar Schokolade geschenkt. Unsere wichtigste Verbündete aber ist die Mehrheit der Bevölkerung, denn alle wollen eine historische Mitte, die im Vergleich zu den anderen europäischen Metropolen nicht meilenweit hinterherhinkt. Aber konkret: Greenpeace unterstützt uns, Teile der Grünen, Changing Cities und der Bürgermeister Stephan von Dassel. Wir sprechen mit der evangelischen Kirche, um die Akzeptanz weiter zu verbreitern.

Die Initivative war mit einem Infostand vertreten.

Fotos: Inge Lechner

Wie sehen das die Anrainer und Gewerbetreibenden?

Fast alle anliegenden Geschäfte hatten unsere Flyer auslegt, die „Flaniermitte“ beworben und sich bereits vor ihrem Zustandekommen für diese Aktion bedankt. Eine Inhaberin hatte uns auf die schwierige Situation des Einzelhandels in der Friedrichstraße hingewiesen und uns sogar mit Schokolade beschenkt. Die Laufkundschaft würde mit der Zahl der Passanten sinken, meinte sie, die Mieten aber würden sich dieser Entwicklung nicht anpassen. Sie wies darauf hin, dass es sogar zunehmend Leerstand gebe, den man so gut es geht kaschiert.

Und die Autofahrer?

Da wir mit unserem Modell „Erreichbarkeit sichern“ auch die Autofahrer berücksichtigen und in unseren Konzepten auf die Zufahrten der Parkhäuser und Tiefgaragen Rücksicht nehmen, ist der Widerspruch bei diesen gering. Selbst der ADAC lässt der Vorstellung gegenüber Sympathie erkennen, die Friedrichstraße vom Autoverkehr zu befreien.

Wie ist die Initiative Stadt für Menschen entstanden?

Im Juli letzten Jahres habe ich Dr. Stefan Lehmkühler in einem Café kennengelernt. Schnell stellten wir fest, dass wir ähnlich denken und in der Lage sind, Ideen zu entwickeln. Ende September haben wir zu einem Treffen eingeladen, woraus im Oktober bereits ‚Stadt für Menschen‘ wurde. Wir waren acht Personen und beschlossen, am 3. Adventssamstag das Herz Berlins, das am U-Bahnhof Stadtmitte schlägt, für zwei Stunden vom Autoverkehr zu befreien. Und das haben wir geschafft. Unser Motto war: Wir wollen zeigen, wie schön die Friedrichstraße ist, wenn sie den Fußgängern zur Verfügung steht. Berlin war begeistert. Zum richtigen Zeitpunkt hatten wir die richtige Idee umgesetzt.

Haben Sie auch andere Stadtteile zur Verkehrsberuhigung auf Ihrem Plan?

Unser Fokus liegt auf der Berliner Mitte. Hier wird sich entscheiden, wohin die Richtung geht. Wenn wir die Friedrichstraße und Unter den Linden zu Fußgängerparadiesen verwandeln, in denen das Leben pulsiert, werden sie Beispiele sein für ganz Berlin. Von Steglitz bis Pankow. Eine Ausnahme machen wir mit der Schönhauser Allee. Sie gehört in Sachen Verkehrsberuhigung zu den wenigen Versprechen des Senats, die ihren Platz in den Koalitionsvertrag gefunden haben. Nun gibt es aber Kräfte der Verweigerung, die nicht mal diese verwirklichen wollen und ihre Umsetzung verschieben, verschieben und wieder verschieben. Dem setzen wir unser bürgerschaftliches Engagement entgegen, denn der Klimawandel wartet nicht. Erst recht nicht Berlin.

Was sind Ihre nächsten Aktionen?

Wir wollen am Samstag, den 11. Mai, die Friedrichstraße zwischen S-Bahnhof und Unter den Linden für mehrere Stunden vom Autoverkehr befreien. Unter dem Motto: „Wir wollen zeigen, wie schön die Friedrichstraße ist, wenn sie den Fußgängern zur Verfügung steht“, rufen wir den „Tag des Lesens“ aus. Wir laden Schauspielerinnen und Schauspieler ein – unbekannte und bekannte – die am Nachmittag den Kindern und am Abend den Erwachsenen vorlesen. Dazwischen gibt es auch Platz für Musik.

Interviewpartner Matthias Dittmer.

Foto: www.ioannakoulakou.com

Was denken Sie, wie lange es bis zur Umsetzung des Vorhabens dauert?

Mit etwas gutem Willen kann der erste Schritt sofort gegangen werden. Was hindert die Senatsverwaltung daran, ab morgen an den Wochenenden versuchsweise die Friedrichstraße dem Autoverkehr zu entziehen? Es braucht ein paar Schilder und ein bisschen Mut. Das ist alles. Und wenn es sich bewährt, könnten wir diese Ausnahme zur Regel machen. Zum Stichtag könnten wir den Tag des Mauerfalls machen. Als Stichtag wäre Tag des Mauerfalls denkbar. Zur Abwechslung lassen wir wieder das ruhmreiche Volk entscheiden. Das würde sowohl diesem Tag als auch Berlins Mitte guttun. Abstimmung mit den Füßen. Wir laden die Berlinerinnen und Berliner ein, an diesem Tag in die Friedrichstraße zu kommen und mit uns zu feiern. So könnte ich mir die Geburt der ersten Flaniermeile Berlins in seiner historischen Mitte gut vorstellen.

Herr Dittmer, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anja Strebe.

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