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Zeit für die Spreemetropole!


Wie wollen wir leben? Mittes Baustadtradtrat Ephraim Gothe (SPD) gibt sechs Handlungsempfehlungen, wie die Zukunft Berlins gestaltet werden sollte.

Ephraim Gothe Baustadtrat Berlin Mitte (SPD)

Die Entwicklung der Stadt Berlin wird in den nächsten Jahrzehnten durch zwei Megatrends geprägt: durch Zuwanderung und durch Digitalisierung. Beide Megatrends durchdringen alle politischen Handlungsfelder der Großstadt. Werden sie richtig genutzt und in den Dienst gemeinwohlorientierter Ziele gestellt, kann eine Spreemetropole entstehen, gemacht von Menschen für Menschen, solidarisch, frei, bürgernah, inklusiv. Angezogen von wirtschaftlicher Prosperität und zukunftsfähigen Arbeitsplätzen suchen vor allem jüngere Menschen ein urbanes und tolerantes Lebensumfeld. Ältere Menschen schätzen die „Stadt der kurzen Wege“ mit Blick auf Nahversorgung und soziale Infrastruktur.

Die Auswirkungen der digitalen Durchdringung auf das Verhältnis von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft sind noch nicht absehbar. Die technologischen Entwicklungssprünge werden bedeutende Impulse für die Stadtentwicklung auslösen. Schon jetzt ermöglicht das Smartphone die vernetzte Nutzung von Verkehrsangeboten. Andererseits macht das Einkaufen vom Sofa aus dem klassischen Einzelhandel schwer zu schaffen und beschert neue Lieferverkehre. Sechs Handlungsempfehlungen für die Gestaltung der Spreemetropole.

1. Ohne Brandenburg geht es nicht

In wenigen Jahren wird jeder zweite Brandenburger im Berliner Speckgürtel leben, hierbei wächst der Anteil der Auswanderer aus Berlin ins Umland um 10 000 Menschen pro Jahr. Berlin und Brandenburg sind in jeder Kategorie zu einem Raum verflochten, außer in politischer Hinsicht. Die politischen Klassen beider Länder schotten sich bislang hermetisch voneinander ab, Diskurse zur gemeinsamen Region finden viel zu wenig statt.

Die Lösung der Berliner Wohnungs-, Verkehrs- und Grünfrage wird nur durch stadtregionale Strategien möglich sein, die weit über die Berliner Landesgrenze hinausreichen. Die Entleerung der metropolfernen Landstriche wird Brandenburg nur aufhalten können, wenn die Berliner Wachstumsimpulse weit bis in die brandenburgischen Mittelzentren hineingeführt werden.

2. Die soziale Frage lösen

Der erhebliche Zuzug seit 2011 fällt mit der Renaissance der Innenstädte als Wohnort zusammen. Nicht nur der Kauf, auch das Anmieten einer Wohnung innerhalb des Berliner S-Bahnrings wird zu einer Frage des Geldbeutels.

In Berlin gibt es einen gesellschaftlichen Konsens zu sozial gemischten Quartieren. Das politische Bekenntnis zur sozial, kulturell und ethnisch gemischten Stadt ist Voraussetzung für den sozialen Frieden in der Zukunft.

3. Die Wohnungsfrage lösen

Wohnungsneubau und die Stärkung des sozialen Mietrechts sind die Gebote der Stunde. Die weiter rasant steigenden Angebotsmieten können nur durch eine kräftige Ausweitung des Wohnungsangebotes gebremst werden. Dass hierbei die Zielmarke Berlins von 400 000 Wohnungen in städtischer Hand in immer weitere Ferne rückt, ist deshalb ein Alarmzeichen. Der Senat rechnet für Berlin derzeit bis 2030 mit einem Zuwachs von nicht mal 200 000 Menschen. Bleibt der Zuwachs auf dem Niveau der letzten Jahre könnten es leicht 400 000 Menschen werden.

Eine stadtregionale Antwort zur Lösung der Wohnungsfrage ist die Einbeziehung des Berliner Umlandes als Teil eines gemeinsamen Wohnungsmarktes. Ein streng am Schienensystem ausgerichteter Städtebau erlaubt perspektivisch eine behutsame Nachverdichtung um 100 000 Wohnungen im Berliner Umland. Der Neustart des kommunalen Wohnungsneubaus und einer Wohnungsbauförderung ist eingeleitet. Die Entwicklung neuer Projekte und Quartiere samt sozialer Infrastruktur mit vorbildlicher architektonischer und städtebaulicher Qualität und die konsequente Durchsetzung von einem Drittel geförderter Sozialwohnungen bleibt für Jahrzehnte erstrangige politische Aufgabe.

4. Bürgerbeteiligung organisieren

Viele umstrittene Bauprojekte in Berlin zeigen, wie entscheidend der Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft ist.

Lokale Demokratieansätze, die repräsentative, direktdemokratische und informelle Formen der Partizipation miteinander verbinden, sind gefragt, um die Qualität und Akzeptanz von Entscheidungen zu erhöhen. Darüber hinaus ist in den letzten 15 Jahren durch zahlreiche Initiativen ein kreatives Potenzial in der Stadt entstanden, mit dem ideenreiche Wege in der Projektentwicklung eingeschlagen werden können, wie jetzt am Haus der Statistik (Civil-Public Partnership).

5. Eine neue Mobilitätskultur

Der Autoverkehr mit seiner Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und seinem Flächenverbrauch beeinträchtigt die Lebensqualität in erheblichem Maß.

Eine neue Mobilitätskultur, die dem öffentlichen Personennahverkehr, dem Fahrrad- und Fußverkehr und Sharing-Modellen den Vorrang einräumt, ist überfällig. Wenn es gelingt, das Auto als Verkehrsmittel für den Individualverkehr weitgehend überflüssig zu machen, hilft das dem kleinteiligen Wirtschaftsverkehr, der auf das Auto angewiesen ist.

Der Senat hat sich für den Ausbau des Straßenbahnsystems ehrgeizige Ziele gesetzt. Es ist an der Zeit, auch das Berliner U-Bahnsystem zu erweitern, die Verlängerung der U7 nach Schönefeld vorzubereiten und Pläne von Ernst Reuter für das „165 km Netz“ aus den 20er Jahren aufzugreifen. Die bessere Vernetzung zwischen Berlin und Brandenburg erfordert aber auch den entschlossenen Ausbau der Schieneninfrastruktur über die Landesgrenze und die Bestellung weiteren Regionalverkehrs.

6. Freiräume schaffen

Gut gestaltete Straßen, Plätze, Parks und Gewässer sind nahezu ebenso wichtig wie qualitativ gute Wohnungen. Der öffentliche Raum ist der gemeinsame Lebensraum der Stadtgesellschaft. Barrierefreiheit muss bei jeder Umgestaltung selbstverständlich sein. Eine Antwort mit stadtregionaler Dimension auf die sich verdichtende Innere Stadt, die nur mit Brandenburg verwirklicht werden kann, ist die Schaffung acht großer Regionalparks im Verflechtungsbereich zwischen Berlin und Umland, als Grünfächer rund um Berlin. Sie bergen ein erhebliches Potenzial für die Naherholung, den Wochenendtourismus und erlebbare Landwirtschaft. Acht Regionalparks als Bekenntnis der beiden Bundesländer zur gemeinsamen Metropole, als Beitrag, der baulichen Ausdehnung eine wirksame Freiflächenstruktur entgegen zu setzen, wäre ein Geschenk von historischer Dimension.

Nicht ohne Hilfe

Allerdings: Allein wird Berlin die Herausforderungen der Zukunft nicht meistern, deshalb schließen sich hier sechs Forderungen an eine neue Bundesregierung an.

  1. Die bundesstaatliche Kompetenzordnung verbietet dem Bund ab 2019, den sozialen Wohnungsbau in den Ländern weiter zu unterstützen. Dies muss unbedingt revidiert werden.

  2. Ebenso wenig wie aus der Wohnungsbauförderung darf sich der Bund aus der Städtebauförderung zurückziehen. Die Unterstützung des Bundes zur Anwendung des Besonderen Städtebaurechts ist ein Segen für die gemeinwohlorientierte Entwicklung innerstädtischer Quartiere.

  3. Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen bleibt gerade in den großen Städten ein Brandbeschleuniger für die Verdrängung. Deshalb muss der Bund die Voraussetzungen dafür schaffen, wirksamer Umwandlungsverbote durchzusetzen.

  4. Die Mietpreisbremse hat zu kurz gegriffen und muss scharf geschaltet werden. Auch die Wiedereinführung der bis 1988 bestehenden Mietpreisbindung muss wieder ins Auge gefasst werden.

  5. Der Bund muss die eigenen Liegenschaften ab sofort gemeinwohlorientierten Zielen unterwerfen und hierzu erstrangig mit Ländern und Kommunen kooperieren.

  6. Nach der Energiewende muss konsequent die Verkehrswende folgen. Und die beginnt in den Städten, wo Menschen am meisten unter der Lärm-, Feinstaub- und Abgasbelastung leiden. Hier muss der Bund die Regionalisierungsmittel für den Regionalverkehr erhöhen, um zielgerichet mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bekommen.

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