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Friedrichstadt-Palast Intendant Berndt Schmidt ist noch nicht fertig mit der AfD


Es gibt ein Bild im Intendantenbüro des Berliner Friedrichstadt-Palasts, das passt nicht zu den riesigen Hochglanzfotos vom Haus und den Plakaten für die Shows „Qi“, „Yma“ oder „The Wyld“. Eigentlich ist es auch gar kein Bild, sondern eine vergilbte Serviette hinter Glas, aus der jemand ein Viertel herausgerissen hat. Darauf hat der Architekt Hans Poelzig mit Bleistift seine ersten Ideen für den Umbau des Großen Schauspielhauses gezeichnet, das legendäre Revuetheater schräg gegenüber vom heutigen Palast, das nach dem Zweiten Weltkrieg den Namen Friedrichstadt-Palast erhielt. (Von Susanne Lenz)

Berndt Schmidt, der Intendant des Hauses, weiß, wann die Zeichnung entstanden ist. „Poelzig und Max Reinhardt saßen 1918 in einem Kaffeehaus, der Krieg war noch nicht zu Ende“, erzählt er. Schmidt hat dieses Dokument der Hoffnung, des Glaubens an eine bessere Zukunft vor ein paar Jahren aus Poelzigs Nachlass ersteigert. Er weiß auch, dass sich das fehlende Viertel der Serviette im Nachlass von Max Reinhardt befindet. Reinhardt leitete später das Haus, nach ihm kam Erik Charell.

„Ich will all deren Geld nicht.“

„Und alle drei wurden von den Nazis verfolgt. Charell als Jude und Homosexueller, Reinhardt als Jude und Hans Poelzig als moderner Architekt“, sagt Berndt Schmidt. „Das steckt im Haus, und das ist eine Verpflichtung.“ Anfang Oktober ist eine Mail an die Öffentlichkeit gelangt, die man als Ausdruck dieser Verpflichtung verstehen kann. Berndt Schmidt schickte sie mitten in der Nacht, zwei Tage nach der Bundestagswahl, an die Palast-Belegschaft. „Der Palast im Osten“ hieß es in der Betreffzeile. Und weiter: „Natürlich, nicht alle AfD-Politiker sind Nazis und auch nicht alle AfD-Wähler*innen.

Aber wer AfD wählte, wusste, dass er auch Nazis in den Bundestag wählt. Wer das aus Angst oder Sorge oder Protest in Kauf nimmt, ist ein Brandstifter und Mittäter. No fucking excuse.“ Und dann schrieb er von den Konsequenzen, die er für sein Haus daraus ziehen will: „Wir werden uns künftig noch deutlicher als bisher von 20 oder 25 Prozent unserer potentiellen Kunden im Osten abgrenzen

und von Hohlköpfen mit Migrationshintergrund selbstverständlich auch. Ich will all deren Geld nicht.“

Schmidts Ansprache

Die Mail hat wütende Reaktionen ausgelöst. Berndt Schmidt bekam 300 aufgebrachte Antwort-Mails, manche nannten ihn „Nazi“ oder „West-Arschloch“. Er bekam Morddrohungen. Der Kultursenator gab ihm Rückendeckung, die AfD reagierte, indem sie Karten für die Show „The One“ unter ihren Wählern verloste. Am Sonnabend, drei Tage, nachdem Schmidts Mail an die Öffentlichkeit gelangt war, drohte fünf Minuten vor Beginn der Vorstellung ein anonymer Anrufer mit einer Bombe. Ob das etwas mit Schmidts Äußerungen zur AfD zu tun hatte, weiß die Polizei nicht, der Verdacht liegt nahe.

An diesem Abend tat Schmidt etwas, das er noch nie getan hat. Er stellte sich vor Beginn der Vorstellung vor das Publikum und hielt eine Ansprache. Darin hieß er auch die Wähler der AfD willkommen: „Aber hoffentlich fühlen Sie sich dennoch komisch, wenn Sie gleich sehen, was entstehen kann, wenn ein Ensemble aus 25 verschiedenen Nationen, mit allen Hautfarben, aus Atheisten, Christen, Muslimen und Juden, aus Hetero- und Homosexuellen, von Menschen mit und ohne Behinderungen friedlich zusammenarbeitet.“

Die Laufbahn des Intendanten

Das war die vorerst letzte Äußerung von Berndt Schmidt zu dem Thema. Als die Partei am Montag darauf im Berliner Kulturausschuss eine Kürzung der Subventionen für den Palast forderte, ließ er das unkommentiert, er gab keine Interviews mehr, obwohl die Nachfrage groß war. Unser Treffen findet unter den Bedingung statt, dass das Thema AfD nicht mehr berührt wird. Es ist ihm wohl über den Kopf gewachsen, hat eine Dynamik bekommen, die er nicht erwartet hat. Und so sprechen wir erst einmal über Schmidts Laufbahn, einen Anlass gibt es.

Es ist fast auf den Tag genau zehn Jahre her, dass der heute 53 Jahre alte, in Jeans und Jackett jungenhaft wirkende Berndt Schmidt die Intendanz des Friedrichstadt-Palasts übernommen hat. Er ist in Bruchsal in Baden-Württemberg geboren, und nicht weit davon in dem Städtchen Graben-Neudorf aufgewachsen, er hat in Augsburg Wirtschafts- und Sozialwissenschaften studiert, und seine Doktorarbeit hat er über die Führung von Konzernen geschrieben. Schmidts Mitarbeiter stellen seinem Namen in Mails immer den Doktortitel voran.

Der sechste Chef der größten Bühne der Welt

Er selbst erwähnt, dass er mit summa cum laude abgeschlossen habe und dass er auch zu McKinsey hätte gehen können, aber halt ein Faible für die Kunst habe. „Es gibt selten gute Kaufleute, die kompatibel mit Künstlern sind“, sagt er, und das klingt mehr nach einer Feststellung als nach Selbstlob. Auf Vermittlung seines Professors war er ein halbes Jahr bei der Bertelsmann Music Group in New York, „in einem fensterlosen Zimmer“.

Es folgten Stationen im Musik- und Filmbereich, 2004 wurde er Geschäftsführer für zwei Musicaltheater in Stuttgart. Dann kam am 2. Oktober 2007 der Anruf aus Berlin, am Apparat war der damalige Kulturstaatssekretär André Schmitz, und am 1. November trat Berndt Schmidt seinen neuen Posten als Intendant der größten Bühne der Welt an, als sechster Chef nach dem Mauerfall. Dabei sprach eigentlich alles dagegen.

Berndt Schmidt hatte noch nie etwas mit Revue zu tun gehabt, hatte nie eine Show verantwortet, dem Haus ging es schlecht, es machte vier Millionen Euro Verlust im Jahr. In Vorbereitung war eine Show mit dem Titel „In 80 Tagen um die Welt“. Er hat sie gestoppt, ohne etwas Neues in der Tasche zu haben. Etwas habe ihm gesagt, dass er mit „In 80 Tagen um die Welt“ niemals würde beweisen können, dass der Friedrichstadt-Palast eine Zukunft hat.

„Ich bin selbst überrascht“

Schmidt entließ 50 der 300 Angestellten, neue Leute holte er nicht. Er brach mit der alten Mannschaft in die Zukunft auf, davon erzählen auch die gerahmten Porträts von Mitarbeitern, die im Flur auf dem Weg zum Intendantenbüro hängen. Unter jedem Namen steht, von wann bis wann dieser Mensch im Palast gearbeitet hat.

Fast alle waren schon vor der Wende da, auch Jürgen Nass, Kreativdirektor von 1984 bis 2011. Ihm vertraute Schmidt die Regie für seine erste Show an: „Qi“. Es gab eine Eisfläche auf der Bühne, Feuer und Nebel, vor deren Hintergrund die längste Girl-Reihe der Welt viel besser zur Geltung kam. Die Kritik feierte „Qi“ als Auftakt zu einer neuen Ära der Revue, wichtiger war, dass das Publikum tobte. Und so ging es weiter. „Ich bin selbst überrascht“, sagt Berndt Schmidt. Sein Vertrag ist erst kürzlich wieder verlängert worden, er läuft jetzt bis 2024.

Intoleranz entgegentreten

Warum mischt sich ein erfolgreicher Manager einer Unterhaltungsbühne in die Politik ein, beschimpft Menschen, die wahrscheinlich Teil seines Publikums sind? Berndt Schmidt erzählt von seinem Großvater, der eine hohe Position in der SS hatte, vom Vater, der auf eine Nazi-Eliteschule gegangen wäre, wenn nicht vorher der Krieg vorbeigewesen wäre. Er nennt ein Zitat aus dem Film „Labyrinth des Schweigens“, der von der Vorgeschichte des Auschwitz-Prozesses handelt: Die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selbst das Richtige zu machen. „Der Satz leitet mich“, sagt er.

Und er hat sich entschlossen, seine Position zu nutzen, um der Intoleranz entgegenzutreten, er, der Chef eines Hauses, in das jeden Abend fast 2 000 Menschen kommen, um die 500 000 Zuschauer im Jahr. Der Film kam 2014 ins Kino. Im selben Jahr beschloss Schmidt, keine Ehrenkarten mehr an Mitglieder des Diplomatischen Corps in Berlin zu schicken, die Länder repräsentieren, in denen Homosexuelle unterdrückt werden.

Viele afrikanische Länder sind darunter, auch Pakistan und Russland. Auf der Facebook-Seite des Palasts schrieb Schmidt, es könne keinem zugemutet werden, „mit Menschen im gleichen Raum zu feiern, die Staaten repräsentieren, in denen manche von uns und manche von euch hingerichtet, verstümmelt, gedemütigt und eingesperrt werden.“ Das Online-Magazin Queer verlieh ihm den Homo-Orden. Von der Bundesregierung kam Kritik. Man müsse den Dialog aufrechterhalten.

Männer in Stöckelschuhen

Mitte 2016 startete Berndt Schmidt die Initiative „Respect Each Other“. Das steht seitdem auf regenbogenfarbenem Grund über dem Eingang zum Palast, durch den jeder Gast geht. Es steht auf der Fahne, die auf dem Platz davor an einer Stange hängt, es steht auf jedem Palast-Fahrzeug, jedem Briefumschlag, jeder Eintrittskarte, es steht auf Schmidts Visitenkarte.

„Vor ein paar Jahren hätte ich diesen Satz banal gefunden, aber das ist er nicht mehr“, sagt Schmidt. Schon damals kamen unwillige Reaktionen. „Wartet bis wir an der Macht sind, dann zeigen wir euch, was Respekt ist“, schrieb jemand auf die Facebook-Seite. Die aktuelle Show „The One“ hat Schmidt damals schon ein Statement genannt. Ein Statement, wie er jetzt sagt, dafür, dass in Deutschland verschiedene Kulturen zusammenleben, alle Religionen, alle sexuellen Orientierungen.

Und wirklich könnte man die Show mit ihrer Lack-und-Leder-Ästhetik – ein Großteil der Kostüme stammt vom Modemacher Jean-Paul Gaultier – mit den Irokesenköpfen, Peitschen und Kegelbusen, den Röcke und Stöckelschuhe tragenden Männern, der sexuellen Aufgeladenheit als Lehrstunde der Vielfalt verstehen, einer positiven Vielfalt. Denn in „The One“ feiern all diese Typen, die es im Berliner Nachtleben ja wirklich gibt, aber im Umland schon nicht mehr, ein prächtiges Fest. Und das Großstadtpublikum bleibt hier nicht unter sich.

Noch nicht fertig mit der AfD

In Busladungen kommt man aus den neuen Bundesländern, auch aus AfD-Hochburgen oder von weiter her, aus Russland zum Beispiel. Aus Gegenden, in denen man dieser Vielfalt nicht unbedingt auf der Straße begegnet. Bei all dem ist der Friedrichstadt-Palast ein Unterhaltungstheater, das einzige in Europa, das in diesem Format an die Revuetradition der Zwanzigerjahre anknüpft, eine Kunstform, die fast ausgestorben ist.

Der politische Diskurs wird anderswo geführt, am Gorki Theater, an der Schaubühne. Das sieht Berndt Schmidt nicht anders: Den Friedrichstadtpalast verlasse man nicht als besserer Mensch, sondern als besser gelaunter, sagt er. Er wolle seinem Publikum nicht mit erhobenem Zeigefinger gegenübertreten. Aber Haltung zu zeigen, das sei auch für eine Unterhaltungsbühne wichtig.

„Die AfD vergiftet die Gesellschaft, das ist brandgefährlich, da kann man nicht den Mund halten.“ Er wolle sich zudem vor seine Künstler stellen, vor Mitglieder des Jugendensembles, die auf der Straße schief angesehen würden, weil sie nicht deutsch aussehen. Aber er wolle nicht den Dialog verhindern mit der AfD, der sei wichtig für die Demokratie. Aus diesen Sätzen, die Berndt Schmidt mit seiner auffallend ruhigen Stimme spricht, erfährt man, dass er nicht fertig ist mit dem Nachdenken über den Umgang mit Intoleranz, mit der AfD, mit seiner Rolle dabei.

Der Palast schreibt gute Zahlen

Man spürt auch den Wunsch nach Abwehr, und den hat nicht nur er. Die FDP wehrt sich gegen die Sitzordnung im Bundestag, die sie neben der AfD platziert, Abgeordnete und Künstler haben einen Brief an den Ältestenrat des Bundestags geschrieben, um zu verhindern, dass ein AfD-Abgeordneter Vorsitzender im Kulturausschuss wird. Berndt Schmidt bereut nichts. Er sagt, die Beschimpfungen hätten einen Energieschub in ihm ausgelöst. „Mit jeder Hass-Mail, mit jedem Abgrund, in den ich geschaut habe, habe ich mir gesagt, dass ich das Richtige gemacht habe.“

Fest steht: Berndt Schmidts Mitarbeiter-Mail war in den vergangenen zwei Wochen Gesprächsstoff in Berlin. Manche lobten ihn für seine Haltung, andere rieben sich die Hände, schadenfroh darüber, dass es vor allem gegen die Ostler zu gehen schien. Manche sagten: Das geht in einer Demokratie, in einem mit Steuergeld subventionierten Theater nicht. Manche sprachen von wohlfeiler Kritik, fragten, was diese nützen solle. Andere sagten, er helfe der AfD, sich in ihrer Opferrolle zu behaupten. Das ist alles berechtigt.

Eines hat Berndt Schmidt aber erreicht: dass sich viele Menschen Gedanken machten, wie man mit der AfD umgehen soll. Dazu kann man ihm nur gratulieren. In der Woche vor der bewussten Mail hat der Friedrichstadt-Palast übrigens 461.000 Euro Umsatz gemacht, in der Woche danach 473.000 Euro.

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