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"Es war richtig, das Haus zu eröffnen"


Intendant Sebastian Nordmann über die Rekordspielzeit in seinem Konzerthaus

von Volker Blech

Das Konzerthaus am Gendarmenmarkt blickt auf eine Rekordspielzeit zurück. Für die zu Ende gegangene Saison bilanziert das Haus bei 340 Veranstaltungen rund 179.000 Besucher. Im Gespräch erklärt Intendant Sebastian Nordmann den Erfolg und blickt voraus.

Herr Nordmann, in der vergangenen Saison stieg die Auslastung in Ihrem Haus von 84,4 auf 85,3 Prozent. Wie erklären Sie sich den Rekord?

Sebastian Nordmann: Als ich 2009 nach Berlin kam, habe ich einen Begriff von unserem damaligen Chefdirigenten Lothar Zagrosek übernommen. Er sagte, in Berlin gibt es Kulturnomaden. Er sprach nicht von Klassikfans, Bildungsbürgern oder Kulturtouristen. Er sprach von Menschen, die in der Stadt leben und an allem interessiert sind. Es ist ein großer Stamm, der ebenso ins Museum, Theater oder Konzerthaus geht, wenn es etwas Spannendes zu erleben gibt. Ich glaube, dass wir neben unserem Abonnentenstamm viele Kulturnomaden ins Haus ziehen, die wegen unserer neuen Festivals und Formate in unser Haus kommen.

Ist die Beobachtung durch Ihre regelmäßigen Besucherbefragungen gedeckt?

Ja, wir haben erst kürzlich wieder eine Umfrage durchgeführt. Aufgefallen ist uns dabei, dass wir einen Vorteil gegenüber der Philharmonie haben. Die ist zwar weltweit viel bekannter ist als wir, dort können Sie aber ihr Publikum aufgrund des großen Abonnentenstamms nicht so schnell durchmischen. Wenn wir unsere Besucher aus den verschiedensten Bezirken ansehen, sind wir in den letzten Jahren erstaunlich schnell in die Stadt hineingewachsen. Darüber sind wir natürlich glücklich.

Was bedeutet das für Ihre Strategie?

Unsere 24/7 Strategie scheint zu greifen. Es war richtig, das Haus zu öffnen, um ein neues Publikum zu gewinnen. Wobei ich immer gesagt habe, es geht nicht nur um Verjüngung, sondern darum, Menschen jeden Alters zu begeistern. Das können Education-Projekte sein oder neue Konzertformate wie „Mittendrin“. Wir machen die Türen auf und vermitteln klassische Musik.

Das Konzerthaus hat gerade mit seinen Kurzfestivals oder neuen Formaten auf sich aufmerksam gemacht. Ist das alter Wein in neuen Schläuchen?

Das soll es nicht sein. Es mag sein, dass der Begriff Format ähnlich missverständliche Assoziationen hervorruft wie etwa das Wort Karriere. Kein Musiker möchte von sich behaupten, er spiele primär um der Karriere willen. Vielmehr möchte er Erfolg haben aufgrund seines Stils. Genauso wenig möchte er als Musiker in ein Format gesteckt werden, aber jeder möchte etwas ausprobieren. Wir haben immer das Experiment nach vorn gestellt. Gemeinsam wollen wir innovativ, mutig und streitbar sein.

Können Sie das am Beispiel des Formats „Mittendrin“, bei dem das Publikum zwischen den im Saal verteilten Orchestermusikern sitzt, erklären?

Das hatte Ivan Fischer bei einem Kinderkonzert in Budapest ausprobiert. Da war ich dabei. Danach haben wir das in Berlin in einem Kinderkonzert versucht. Dann sind wir in den großen Saal gegangen. Zunächst aber kam der Orchestervorstand mit berechtigten Einwänden, dass die Musiker zu weit auseinander sitzen oder Ivan Fischer als ein 360-Grad-Dirigent agieren müsse. Wie soll das klanglich funktionieren? Wir haben also beschlossen, wir probieren es einmal. Aus dem erfolgreichen Experiment ist das Format „Mittendrin“ hervorgegangen.

Macht Ivan Fischer, obwohl seine Amtszeit als Chefdirigent gerade beendet ist, mit „Mittendrin“ weiter?

Ja, macht er. Als unser Ehrendirigent kommt er pro Saison für vier Programme und behält sein Abo im Konzerthaus. Am Donnerstagabend wird er vor den regulären Konzerten je ein „Mittendrin“ dirigieren und moderieren.

Sie müssen sich mit den Philharmonikern abgesprochen haben, die ebenfalls eine führungslose Übergangssaison haben?

Natürlich hätte ich Ivans Nachfolger Christoph Eschenbach lieber gleich dabei gehabt. Aber die Planungen im Klassikbereich sind schon verrückt. Wir reden jetzt bereits über die Saison 2021/22. In der Oper ist das noch viel schlimmer. Ivan Fischer hat mal gesagt, er würde gern wie Gustav Mahler in Prag leben. Dort hat man sich am Ende der Saison in die Augen geschaut und gefragt: Machen wir zusammen weiter oder nicht? So viel Spontanität geht heute nicht mehr. Wir sind schon glücklich, Christoph Eschenbach für 2019 zu bekommen. Aber diese Übergangszeiten entstehen mittlerweile bei vielen Orchestern. Andererseits ist es auch mal eine Chance, viele verschiedene Dirigenten auszuprobieren, wenn der Chef nicht alles belegt.

Wie war Eschenbachs erste Reaktion auf das Angebot Chefdirigent zu werden?

Ich hatte ihn erst in New York und dann in Paris besucht. Er nannte drei Dinge, warum es für ihn interessant sei. Erstens hatte ihm das Konzert, das er vor zwei Jahren bei uns dirigiert hatte, viel Spaß gemacht. Zweitens hat ihn das Jubiläum 200 Jahre Konzerthaus, das wir 2021 begehen, sehr interessiert. Und nicht zuletzt spielt Berlin eine große Rolle. Er war immer hier bei den Orchestern der Stadt. Er sagte, in Berlin kann man alles machen von historischer Aufführungspraxis bis zeitgenössischer Musik. Wir haben auf seinen Wunsch hin einen Drei-Jahres-Vertrag geschlossen.

Was wird sich verändern?

Wir alle hier sind glücklich, dass es uns gelungen ist, eine Legende ans Haus zu holen. Bei ihm steht immer eine Traube an Leuten am Bühneneingang und will ein Autogramm. Ich merke, dass der Stareffekt Eschenbachs außerhalb Deutschlands enorm ist. Wir sehen es an den Tourneeangeboten. Es sind japanische, chinesische, amerikanische Tourneeveranstalter, die uns aufgrund von Eschenbach einladen. Darüber hinaus wird Eschenbach in Berlin sehr präsent sein, bereits in der ersten Saison ist er zehn Wochen hier. Das Publikum wird auch in Bezug auf das 20. und 21. Jahrhundert viel Spannendes erwarten können.

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