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Berlin hat ein Langstrecken-Problem


Exklusives Datenmaterial zeigt: Im europäischen Vergleich werden ab den Berliner Airports wenige Langstrecken angeboten. Experten fordern die Airlines auf, jetzt einzusteigen - die Gefahr bestünde, einen Trend zu verschlafen.

Die deutsche Hauptstadt hat ein Langstrecken-Problem. So ist die Zahl der Interkontinental-Verbindungen ab den beiden Airports Schönefeld und Tegel in den vergangenen zehn Jahren um 76 Prozent gesunken. Dies geht aus einer Aufstellung des Flughafenbetreibers FBB hervor, die airliners.de exklusiv vorliegt.

1998 zählten beide Berliner Standorte, Schönefeld und Tegel zusammen, noch 25 Langstreckenverbindungen - unter anderem von Air China, Britannia Airways und LTU. Einen ähnlichen Tiefpunkt wie jetzt gab es bereits 2004 - die Zahl der Interkontinental-Strecken ab Berlin sank damals auf sieben - der Großteil ging erneut auf das Konto von LTU.

Zahl der Langstreckenverbindungen ab Berlin

Erstaunlich ist, dass es selbst nach dem Marktaustritt von Air Berlin noch zehn Langstreckenverbindungen an beiden Airports gab. Doch in Tegel zogen sich Lufthansa, Small Planet und Sun Express mit ihren Dubai-Flügen zurück - in Schönefeld beendete Condor ihr Engagement und stampfte zudem die Wartung ein.

Langstrecke hat "Aufholbedarf"

Dass das Langstrecken-Angebot ab Berlin "auffällig klein" ist, bestreitet auch Ralph Beisel, Hauptgeschäftsführer des Flughafenverbands ADV nicht: "Das Langstreckenangebot an den Berliner Flughäfen ist derzeit nicht ausreichend entwickelt", sagte er laut Teilnehmern beim jüngsten Luftverkehrsfrühstück seiner Organisation. "Der deutsche Luftverkehrsmarkt hat im Langstreckensegment Aufholbedarf."

Bei eben jener Veranstaltung unterstrichen ADV und FBB gemeinsam, wie alarmierend die rückläufige Entwicklung aktuell ist. Dazu nutzten sie eindrucksvoll den Vergleich zwischen dem Berliner Interkontinental-Angebot und dem anderer europäischer Metropolen:

Verbindungen im Europäis chen Vergleich

Selbstverständlich liegen andere Metropolen im Vergleich mit dem deutschen Regierungssitz auch deshalb vorn, weil sie häufig Hub des Flag-Carriers sind. Die Deutsche Lufthansa hingegen hat sich auf die Flughäfen Frankfurt und München konzentriert.

Lufthansa mit BER-Engagement abwartend

Nach dem Marktaustritt der einstigen Konkurrentin bot die Kranich-Airline kurzzeitig im vergangenen Winter die Strecke nach New York von Berlin aus an. Da allerdings keine kompatiblen Slots für den Sommer auf der Route TXL-JFK vorhanden waren, verwarf das Lufthansa-Management den Plan, die Verbindung an die Low-Cost-Tochter Eurowings abzugeben. Nach airliners.de-Informationen sollen auch die Erträge nicht zufriedenstellend gewesen sein.

Und auch bezogen auf ein zukünftiges Interkontinental-Engagement am BER, zeigt sich Lufthansa zurückhaltend. "Jetzt warten wir erst einmal ab, ob der BER 2020 eröffnet", sagte Hub-Chef Harry Hohmeister kürzlich im Interview mit airliners.de. Wenn dies der Fall sei, "werden wir zunächst Erfahrungswerte sammeln und dann entscheiden". Aus Berlin heraus könne kein Langstreckenflugzeug sinnvoll betrieben werden.

Wirtschaftliche Entwicklung

Langstrecken haben es historisch schwer in der Hauptstadt, denn Berlin ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zum Finanz- oder Handelszentrum des Landes geworden. Die Siegermächte teilten diese Kräfte anders auf. Fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sei es höchste Zeit, aus dieser auferlegten Limitierung auszubrechen, sagen mehrere Experten. "Das wird der Markt entscheiden."

Dass der Markt in Berlin sich in der Vergangenheit äußerst positiv entwickelt hat, bestätigt auch das Amt für Statistik Berlin/Brandenburg: "Die Entwicklung der Berliner Wirtschaft nach der Wiedervereinigung lässt sich in drei Phasen teilen", erläutert Konjunkturexperte Robert Budras im Gespräch mit airliners.de.

  1. In den frühen 1990er-Jahren führte die Wiedervereinigung zu hohen Wachstumsraten in der Finanz-, Bau- und Wohnungsbranche;

  2. von der Mitte der 1990er- bis zur Mitte der 2000er-Jahre wies Berlin niedrige Wachstumsraten auf, das produzierende Gewerbe verlor durch unterdurchschnittliche Wachtstumsraten in zunehmenden Maße an Bedeutung und die öffentliche Hand musste aufgrund des Berliner Bankenskandals die Ausgaben verringern;

  3. in der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre begann eine nachhaltige Aufschwungphase der Berliner Wirtschaft. "Kein anderes Bundesland wuchs zwischen 2005 und 2017 kräftiger als Berlin und auch die weltweite Finanzkrise konnte diesen positiven Trend nicht stoppen", so Budras. Denn: Getragen wurde der Aufschwung durch Informations- und Kommunikationsdienstleistungen, wieder erstarkte Aktivitäten der öffentlichen Hand, Unternehmensdienstleister sowie Handel und Tourismus. "Damit verfestigte sich auch ein langanhaltender Trend zu einer von Dienstleistungen dominierten Metropol-Wirtschaft."

Aktueller Neuling: Scoot

Der deutschen Hauptstadt fehlt wirtschaftlich gesehen also nicht die Attraktivität für ein interkontinentales Angebot. Dies findet auch Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup. Airlines wie United zeigten doch, dass man profitabel über mehrere Jahre hinweg Langstrecken-Routen ab der deutschen Hauptstadt betreiben könne.

Ein weiteres Beispiel ist die Low-Cost-Tochter Scoot von Singapore Airlines. Der Carrier fliegt viermal wöchentlich den Umlauf Tegel-Singapur. Dabei handelt es sich bei der Route ganz klar um ein Incoming-Geschäft, erklärt Scoot-Chef Lee Lik Hsin im Gespräch mit airliners.de: "Bisher haben wir mehr Passagiere von Berlin nach Singapur. Wir werden jetzt allmählich den Verkauf auf der anderen Seite, in Asien, aufbauen. Denn für viele asiatische Kunden ist Berlin nur das Gateway nach Europa."

"Das ist ein großer Fortschritt für die Konnektivität Berlins", lobt Lütke Daldrup. Und Stadtoberhaupt Michael Müller (SPD) ergänzt: "Scoot hat das unternehmerische Potenzial der Hauptstadtregion vor vielen anderen Airlines erkannt und mit Mut und Weitsicht eine Berlin-Singapur-Verbindung aufgebaut."

"Der Blick sollte Richtung BER gehen"

Hier bringt sich eine Airline auch für die Eröffnung des neuen Drehkreuzes BER in Stellung, betont Burkhard Kieker von "Visit Berlin" im Gespräch mit airliners.de. Nach mehreren verpassten Eröffnungsterminen sollen beide Bahnen des neuen Hauptstadtflughafens nun im Herbst 2020 in Betrieb gehen. "Der Blick sollte auch schon Richtung Zukunft, Richtung BER gehen."

Denn die Planung müsse jetzt anfangen - "sowas braucht in der Regel zwei bis drei Jahre Vorlauf", sagt der ehemalige Flughafen-Manager. "Airline-Chefs, die das nicht machen, werden sich in ein paar Jahren fragen lassen müssen, warum sie den Einstieg verschlafen haben."

Air Berlin setzte Maßstab

Natürlich habe es die Hauptstadt den Fluggesellschaften jahrelang nicht leicht gemacht, Langstrecken anzubieten. "Aber ich bin überzeugt davon, dass die Pläne wieder aufkommen, wenn der BER eröffnet ist", sagt Kieker. "Mit Air Berlin haben wir gesehen, was mindestens geht."

Der Marktaustritt des Pleite-Carriers hat die deutsche Hauptstadt quasi über Nacht viele ihrer bis dahin angebotenen Interkontinentalverbindungen gekostet. "Dass das, was wir über zehn Jahre hinweg aufgebaut haben, plötzlich weggebrochen ist, ist schon bitter."

Kieker sieht Bedarf für 14 Routen

Aktuell sieht Kieker die Nachfrage für mindestens 14 Destinationen: "Eben das Angebot, was wir mit Air Berlin schon hatten" - und darüber hinaus bräuchte es Verbindungen nach Seoul, Shanghai und Tokio. "Berlin ist längst nicht mehr nur 'arm, aber sexy'."

Die Zahlen würden zudem unterstreichen, dass die Nachfrage nach Berlin-Tourismus da ist. "Die Leute besuchen uns in Berlin. Aber Sie müssen umsteigen" - und das würden sie laut Kieker nicht lange mitmachen. "Die Nachfrage wird bisher mit der Brechstange über Hubs umgeleitet."

Destinationen Berliner Touristen

Ein Langstreckengeschäft in Berlin zu betreiben, würde die großen Airlines "zwingen, neben ihren perfekt ausgerichteten Hubs auch einen anderen Airport mit der Langstrecke zu bedienen". Kieker räumt ein: "Natürlich ist das teuer und macht Strategien kaputt", aber es würde sich lohnen.

Quelle: airliners,de

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