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Viele Fahrgäste, zu wenig Wagen - Die katastrophale Krise bei der Berliner U-Bahn


Zugausfälle, überfüllte Wagen: Fahrgäste der Berliner U-Bahn leiden unter der Krise des wichtigsten Verkehrsmittels in der deutschen Hauptstadt. Jetzt zeigen neue interne Zahlen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), wie gravierend die Misere momentan ist. „Die Lage ist katastrophal – dramatischer als bei der S-Bahn“, sagte Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB am Donnerstag. Nach Informationen der Berliner Zeitung kamen Dienstagfrüh auf den Linien U 5 bis U 9 insgesamt 60 Wagen weniger als geplant in den Einsatz. Am Mittwochmorgen belief sich das Defizit auf 42 Wagen. Laut BVG werden auf diesen Strecken derzeit 612 Wagen benötigt. Die Ausfallquoten betrugen an diesen Tagen zehn und sieben Prozent. Noch spürbarer ist der Mangel auf den Linien U 1 bis U 4. Dort fehlten Dienstagfrüh ebenfalls gemessen am aktuellen Bedarf insgesamt 58 Wagen, am Mittwoch waren es 56. Für diese Linien beziffert die BVG den Bedarf derzeit auf 380 Wagen. An beiden Tagen standen auf diesen Linien rund 15 Prozent der U-Bahn-Wagen für den geplanten Verkehr nicht zur Verfügung. Jahrelange Versäumnisse „Dieser Tage macht uns insbesondere in den Werkstätten die anhaltende Grippewelle zu schaffen“, erklärte BVG-Sprecher Markus Falkner. „So kam es dazu, dass ausgerechnet in diesen Tagen viel mehr Reparatur- und Reinigungsarbeiten auf eine dezimierte Mannschaft trafen und die Arbeiten nicht so schnell wie gewohnt durchgeführt werden konnten.“ Ein weiterer Faktor: „Vermehrte Vandalismusschäden, insbesondere überdurchschnittlich viele Graffiti, haben dazu geführt, dass vermehrt Züge in die Werkstätten geführt werden mussten.“ Für diese Erklärung können die internen Zahlen für Dienstag und Mittwoch aber nicht als Beleg herangezogen werden. Denn danach standen am Dienstag 24 U-Bahn-Wagen wegen Schmierereien und Sachbeschädigungen nicht zur Verfügung, am Mittwoch waren es acht. Gravierender wirkt sich aus, dass die Flotte relativ alt ist und viele Fahrzeuge nur noch mit großem Aufwand betriebsfähig zu halten sind. So standen am Mittwoch 390 der insgesamt 1 284 U-Bahn-Wagen in den Werkstätten. Davon waren 126 nicht im Verkehr einsetzbar, weil sie instand gesetzt werden. 16 Wagen pausierten, weil Material fehlt. 56 Wagen werden als „abgestellt“ verzeichnet. "In früheren Jahren war meist nur von der Krise bei der S-Bahn die Rede. Jetzt müssen wir feststellen, dass wir eine Krise bei der BVG haben“, sagte Wieseke. Ein Vergleich zeigt, dass die Ausfälle bei der S-Bahn derzeit geringer sind. Am Mittwoch kamen 1 018 Wagen im Linieneinsatz, Verträge fordern 1 060 Wagen. Somit belief sich die Ausfallquote auf vier Prozent. Mit mehr als eine halbe Milliarde Fahrgästen pro Jahr ist die U-Bahn der bedeutendste Verkehrsträger in Berlin. Im Ranking der europäischen Metro-Metropolen liegt Berlin auf Platz 5. Allerdings müssen es Beschäftigte und Fahrgäste ausbaden, dass das Landesunternehmen zu wenig in den Fahrzeugpark investiert habe, sagte Jens Wieseke. „Wir haben es mit jahrelangen Versäumnissen zu tun.“ Unter dem rot-roten Senat und anderen Berliner Landesregierungen wurde der Schwerpunkt auf das Sparen gelegt. Die BVG, die lange Zeit wegen hoher Defizite als Sorgenkind galt, sollte mit Rationalisierungen wettbewerbsfähig gemacht werden. Aufsichtsratsmitglieder berichteten damals, dass ein Senatsvertreter von alten Bahnen schwärmte, die er im Urlaub gesehen habe und die immer noch fahren. Einwände, wonach Oldtimer einen erhöhten Aufwand und höhere Ausgaben erfordern, wurden nicht akzeptiert. Obwohl die Zahl der U-Bahn-Fahrgäste seit 2007 um 17 Prozent stieg, wurde die Flotte um 68 Wagen reduziert. Das Durchschnittsalter der Fahrzeuge nahm mit den Jahren zu. Auf den Linien U 1 bis U 4 liegt es nun bei rund 30 Jahren, auf den anderen Linien bei knapp 28 Jahren. Die ältesten Wagen im Betrieb werden im Juni 62 Jahre alt. U 2 und U 3 kürzer als gewohnt Inzwischen wurde die Wende eingeleitet, ab 2021 sollen bis zu 1050 Wagen geliefert werden. Doch bis sich die Lage grundlegend bessert, wird es dauern. Wieseke forderte BVG-Chefin Sigrid Nikutta auf, so lange auf Werbeaktionen wie jüngst Turnschuhe mit eingearbeiteten Jahreskarten zu verzichten. „Wir brauchen keine Marketing-Gags“, verlangte er. Am Mittwoch fielen auf den Linien U 5 bis U 9, die wegen ihrer breiteren Tunnel als Großprofil bezeichnet werden, im Berufsverkehr fünf von 98 Zugverbänden aus, so die BVG. Auf den Strecken des Kleinprofils musste kein Kurs gestrichen werden, allerdings waren U-Bahn-Züge kürzer als bisher. Auf der Linie U 2 rollten Sechs-Wagen-, auf der U 3 Vier-Wagen-Verbände. Die BVG hat derzeit sogar Glück. Weil Strecken wegen Bauarbeiten gesperrt worden sind, braucht sie weniger U-Bahnen. Hinzu kommt, dass auf der U 7 der Fahrplan leicht ausgedünnt worden ist – auf einen 4,5-Minuten-Takt, was den Bedarf allein um 24 Wagen senkt. Ohne die Einschränkungen bräuchte die BVG fürs Kleinprofil 404 und fürs Großprofil 648 Wagen. Der Mangel wäre dann noch größer. – Quelle: Berliner Zeitung ©2018

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